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"Hallo Schatz, ich mache jetzt Bauchtanz"

"Hallo Schatz, ich mache jetzt Bauchtanz"
Erfahrungsbericht eines leidenden Mannes, der sich mit der neu entdeckten Leidenschaft seiner Freundin zurecht finden muss!
Meine Freundin Conny ist seit über 30 Jahren aktiv in der Kunst- und Kulturgeschichte verwurzelt. Bis vor einem Jahr hat sich dies hauptsächlich auf den Bereich Theater und Kabarett beschränkt. Zur Präzisierung: Sie liebt es auf der Bühne zu stehen und sich zu präsentieren. Ihr könnt Euch sicherlich vorstellen, welche Gedanken mir durch den Kopf gegangen sind, als sie mir freudestrahlend erklärt hat, dass sie jetzt mit richtigem Engagement in den Bauchtanz einsteigt.
Zugegeben, obwohl ich ihre Lehrerin und die Schule gut kenne, muss ich gestehen, dass meine Gedanken erst einmal Opfer von Hollywood und diversen Betriebsfeiern, etc.. wurden. Sollte in Zukunft meine Freundin halb nackt mit schwingenden erotischen Hüften den Hormonhaushalt fremder Männer ankurbeln? Um es abzukürzen: Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen! Wie so oft habe ich mir gedacht, das ich sicherlich etwas steuernd eingreifen muss. Was aber wirklich auf mich zukam – darauf war ich nicht vorbereitet!
Conny hat einen anspruchsvollen Beruf und mir mehrmals erklärt, dass sie keinen Grund dafür findet in irgendeiner Form unserer Klamotten zu reparieren – was kaputt ist fliegt raus! Ich war schon etwas irritiert als plötzlich die völlig vergessene Nähmaschine aktiviert wurde und an seltsamen Kleidungstücken eifrigst genäht wurde. Übrigens Pailletten – ihr kennt sie alle – sind eine interessante Sache. Wenn an meiner Hose mal ein Knopf abreißt, dann heißt es meistens, dass sich der Aufwand nicht mehr lohnt den Knopf wieder anzunähen. Pailletten erreichen eine völlig andere Dimension. Es ist tatsächlich möglich, dass ich mich mit Conny nur noch im Beisein und Nutzung einer Nadel unterhalten konnte, weil es unbedingt nötig ist, auf 10 cm2 ca. 400 Pailletten aufzunähen. Noch viel plastischer: Das tägliche akribische Absuchen des Bodens nach eventuell verirrten Pailletten – inklusive Staubsaugerverbot. Meiner Meinung nach kann man das Zeug beutelweise für wenig Geld kaufen – im Gegensatz zu meiner Hose!
Aber dies war eigentlich kaum der Rede wert, betrachtet man die weitere Entwicklung. Wie jeder weiß, haben Frauen die seltsame Gabe an ihren Figuren etwas auszusetzen, auch wenn es objektiv nichts auszusetzen gibt. Ihr könnt euch sicher vorstellen, was passiert, wenn mehrere europäische Frauen mit orientalischer Kleidung in einem verspiegelten Raum den Bauchtanz erlernen – und sich auch noch ständig mit ihrer Lehrerin vergleichen. Ich kann euch sagen, dass dann die Beteuerungen von meiner Seite, sogar die ehrlichen, dass an Figur und Bewegung wirklich nichts Negatives zu entdecken ist völlig bedeutungslos sind. Irgendwie frage ich mich, warum es für Conny nicht möglich war zu erkennen, dass sie halt nun mal die Schülerin ist – es wäre rausgeschmissenes Geld in eine Bauchtanzschule zu gehen, wo sie besser ist als die Lehrerin.
Ein weiteres Thema war auch die allgemeine Kommunikation über die Aktivität Bauchtanz. Dies ist einzuordnen in die allgemeinen Kommunikationsherausfordungen zwischen Männern und Frauen. War ich ihrer Meinung wurde mir ein hohes Maß an Kenntnissen über den orientalischen Tanz bescheinigt. War ich nicht ihrer Meinung musste ich mich mit Kommentaren wie „Was willst Du den mitreden, Du hast doch keine Ahnung!“ zufrieden geben.
Richtig überrascht war ich allerdings über folgendes:
Conny hat mir mehrmals erklärt, dass ich von ihr eine Bauchtanzvorführung erst erhalten werde, wenn sie dies auch gut beherrscht. Gut, kann ich verstehen. Aber die Mitteilung, das sie öffentlich auftreten wird verwirrte mich etwas – andere dürfen es sehen, aber ich nicht! O.K. diese Aussage ist etwas übertrieben, denn ich weiß, dass sie es voraussetzt, dass ich mir selbstverständlich diese Aufführung ansehen werde. Und jeder, der sich schon mal „Die Perser“ gespielt von einem Studententheater ansehen durfte, weiß: Schlimmer kann es nicht mehr kommen!
Ich weiß nicht mehr zu wie vielen Details ich gefragt wurde, aber eines ist mir in Erinnerung geblieben. Conny und ich haben nahezu die selbe Basis: Jeder von uns kann viel Lebens- und Berufserfahrung einbringen, aber vom Orient und dessen Traditionen haben wir eigentlich keine Ahnung. Es war ein tolles Erlebnis sich im Rahmen der Plattform Bauchtanz mit dem Orient auseinander zu setzen. Ein großer Vorteil für uns, verbunden mit einem wirklich ehrlichen Lob an sie, war Elham, Connys Lehrerin. Als gebürtige Iranerin und promovierte Chemikerin hat sie es auf unglaubliche Weise geschafft, die üblichen Vorurteile über Land und Leute wegzuwischen und die tatsächlichen Werte zu vermitteln. Nicht durch Vorträge über ihr Land, sondern einfach durch ihr Verhalten, ihre Beiträge in den Diskussionen und durch die schier unglaubliche Lebensfreude, deren der Bauchtanz eine Ausdrucksform ist.
Und dies war auch ein Wendepunkt meiner Gedanken über Bauchtanz. Weg von dieser allgemein bekannten Frivolität hin zu einfacher Lebensfreude. Ich wünsche allen diese Erfahrung. Man beginnt sich zu fragen, wieso wir Bauchtanz in die Schmuddelecke einsortieren – ein Stück Kultur im Orient. Erstmals von einem Europäer gesehen, als in Europa ein Kuss vor der Hochzeit eigentliche nicht möglich war. Ein anderes Thema die Tänze zu dieser Zeit in Europa. Im Prinzip wurde getanzt als hätte der Tanzpartner die Pest und man minimiert die Ansteckungsgefahr. Und jetzt: Bordelle, Straßenstriche und ganze Rotlichtviertel bei uns - aber der Bauchtanz ist ja so frivol…. Ich will nicht der Moralapostel sein, aber ich denke ihr wisst worauf ich hinaus will.
Genau – beschäftigt euch so mit dem Thema Bauchtanz wie es euere Frauen tun! Ich verspreche, ihr werdet es nicht bereuen und viele positive Überraschungen erleben – so lange ihr nicht selbst zu tanzen beginnt.
Ich denke ich bin es schuldig noch ein paar Worte zu der Aufführung zu sagen: Sie war einfach toll und hat meine kühnsten Vorstellungen noch übertroffen.
Ich wünsche euch allen vergleichbar schöne Erlebnisse, wenn euere Frauen beschließen einfach nur Bauchtanz zu machen.
Euer Uwe (2007)
Ein bisschen Geschichte zum orientalischen Tanz

Wer erfand unser Bild vom Bauchtanz?
Ein bisschen Geschichte von Cornelia Bergler
"Bauchtanz" ist eine direkte Übersetzung des französischen "danse du ventre". Diesen Begriff verwendete erstmals der Schriftsteller Gustave Flaubert im 19. Jh. um den Tanz in seinen Reiseberichten zu beschreiben. Allerdings wollte er damit sicherlich nicht einen Tanz-Stil-Begriff prägen, sondern brachte vielmehr seine persönlichen Empfindungen poetisch zum Ausdruck, nachdem er die Zigeunerin Kuchuk Hanem am 03. März 1850 tanzen sah. Nun, was auch immer Flaubert sah, es war auf keinen Fall „Bauchtanz“ so wie wir ihn heute kennen, denn der wurde erst ein halbes Jahrhundert später erfunden, von der letzten großen Awalim.
"Awalem" waren angesehene muslimische Frauen von gesellschaftlich hohem Rang. Gebildet, in den höchsten Kreisen verkehrend, politisch versiert, finanziell unabhängig. Die wenigen Frauen im Orient die Lesen und Schreiben konnten. Von Frauen und Männern gleichermaßen verehrt. Und die Awalim war Tänzerin, Sängerin, beherrschte mehrere Instrumente und bezauberte ihr Publikum ... im Harem!
Lassen wir uns das auf der Zunge zergehen. „Harem“, dass ist kein erotischer Spielplatz, sondern eine hierarchische und kostspielige Familienform, mit gegenseitigen Verpflichtungen, die für jede Frau und jeden Mann in unserer modernen, westlichen Welt völlig unakzeptabel wären.
Und dort tanzte die Awalim nur vor Frauen. Männer hatten schlicht keinen Zugang zum Harem. Auch nicht Flaubert oder ein anderer Orientreisender, von denen uns die abenteuerlichsten Beschreibungen des Bauchtanzes überliefert wurden.
Gut 70 Jahre nach Flaubert´s Reisen eroberten sich die Awalim die Weltbühne. 1ter Weltkrieg, 2ter Weltkrieg Europa trug diese Kriege über seine Kolonien in den Orient. So tummelte sich allerlei Volk in Ägyptens Hauptstadt. Engländer, Franzosen, Spanier, Deutsche und Amerikaner. Soldaten, Spione, Schmuggler, Waffenhändler, Kriegsgewinnler, Kriegsverlierer.
Nun saß also dieses ausländische Volk in Kairo und wollte unterhalten werden. Nachtclubs und Varietés schossen wie Pilze aus dem Boden. Hier traten vor allem europäische Künstler und Künstlerinnen auf. Sie wurden engagiert um den abendländischen Geschmack an Musik, Tanz und Unterhaltung zu treffen. Schließlich ging es hier ums große Geschäft, nicht um Kunst und Kultur.
Doch dann hatte Badia Masabni (1892—1976), die „letzte große Awalim“ und eine überaus erfolgreiche Geschäftsfrau, etwa um die 1930er eine geniale Geschäftsidee. Sie holte hübsche Bauernmädchen von den Feldern, steckte sie in BH, Rock und Perlengürtel, und bildete sie im Tanzen aus, in dem Badia die Schritte und Bewegungen aus einer Vielzahl ägyptischer Volkstänze neu arrangierte. So präsentierte Badia dem Publikum den "Raks sharki" - der Bauchtanz so wie wir ihn heute kennen war geboren.
Und er rief wahre Begeisterungsstürme aus, nicht nur bei den Ausländern, sondern auch bei der einheimischen Oberschicht. Das „Café de Opera“ - Badias Nachtclub in Kairos Altstadt - wurde zu dem angesagten gesellschaftlichen Anziehungspunkt. Hier mussten einfach alle hin die „in“ sein wollten.
Aber Badia tat noch mehr. Sie entwickelte den "Raqs Sharqi" ("Tanz des Ostens", wie er im arabischen Sprachraum heißt) weiter, in dem sie mit ihrem Team von Choreografen neue Beckenbewegungen erfand, darunter vor allem den Shimmy. Auch Armbewegungen und raumgreifendes Tanzen war bis dahin in Ägypten nicht üblich. Und Badia erfand den Tanz mit dem Schleier. Da das Publikum in den hinteren Reihen die Bewegungen nicht richtig sehen konnte, stattete sie ihren Tänzerinnen mit Schleiern aus. Dieser erzielten mehr Wirkung über den großen Abstand zum Publikum hinweg.
Etwa zur gleichen Zeit entdeckten namhafte, amerikanische Tänzerinnen, darunter u.a. Ruth St. Denis, Ida Rubenstein, Maud Allen und Louie Fuller den orientalischen Tanz für sich. Damit rebellierten sie nicht nur gegen das Ballett, sondern wurden zu Mitbegründerinnen des Ausdruckstanzes, der heute in Stilrichtungen wie Modern Dance oder Jazzdance mündet.
Das Hollywood-Kino folgte in den 1930er, 1940er und 1950er Jahren. Eine Flut von Spielfilmen mit orientalischen Geschichten in denen immer wieder Bauchtänzerinnen auftraten, aber auch weltberühmte Schauspielerinnen tanzten, überschwemmte den Markt. So z.B.: 1932 „Mata Hari“ mit Greta Garbo; 1934 „Cleopatra“ mit Claudette Colbert; 1938 „Der Tiger von Eschnapur / Das indischen Grabmal“ mit La Jana. 1949 „Die schwarzen Teufel von Bagdad“ mit Maureen O’Hara; und schließlich unvergessen 1953 „Salome“ mit Rita Hayworth.
Allerdings setzte sich der Bauchtanz in der westlichen Welt erst ab den 1960er Jahren vollends durch. Seit dieser Zeit verlor er immer mehr seinen stereotypen Charakter als erotische Unterhaltungsform und etablierte sich als Breitensport. In den USA eröffneten die ersten „Belly Dance“ Studios und fanden dankbare Kundinnen, deren Ausbruch aus gesellschaftlichen Konventionen in Auflehnung gegen die konservative Regierung der USA der Nachkriegszeit auch im Bauchtanz Ausdruck fand.
Auch die Bezeichnung des Tanzes änderte sich, denn der umgangssprachliche Begriff „Bauchtanz“ ist irreführend da nicht nur der Bauch bewegt wird, sondern auch Arme, Hände, Beine, Füße, Schultern und der Kopf. Tänzerinnen sprechen daher heute von „orientalischen Tanz“ oder verwenden den arabischen Begriff „Raks Sharki“.
Etwa seit den 1990er Jahren verlor der orientalische Tanz schließlich auch in Deutschland sein Nischendasein. Heute gibt es bundesweit rund 60.000 Tänzerinnen, die den orientalischen Tanz als Sport und Tanzkunst in all seiner exotischen Schönheit betreiben.
Der orientalische Tanz ist ungeheuer vielfältig. Längst fließen Elemente aus den unterschiedlichsten Tanzrichtungen ein: u.a. Ballett, Flamenco, Tango, Modern Dance, Jazzdance und sogar HipHop und Tanzdarbietungen zu Heavy Metall machen vor der Tanzlust keinen Halt. Die Requisiten vom Schleier über den Säbel bis zum Kerzenleuchter werden immer raffinierter. Auch die ägyptischen Volkstänze in Bühnenversion gehören mittlerweile zum Repertoire der Tänzerinnen. Der orientalische Tanz hat schon längst Bühnenreife erlangt und auch in Deutschland gibt es einige namhafte Tänzerinnen von internationalem Ruf.
Ich lass mich Tanzen

von Cornelia Bergler
Da steht diese wuchtige Schale aus flüssigem Silber.
In ihr türmen sich Blüten über Blüten in üppigen Farben.
Und ich stehe davor und muss mich nicht entscheiden, denn ich darf meine Arme ausbreiten und sie in die verschwenderische Fülle tauchen.
Selbst wenn ich die zu unterst liegende Blüte aus der Schale stibitze ... von den aus dem Silber kullernden Blumen muss ich keine verschämt zurück legen.
Ich kann um sie herumspringen, sie aufheben, sie in die Lüfte werfen, sie mit meinen Sinnen schmecken, sie zurücklegen oder meinen Gürtel mit ihr schmücken.
Und während ich mich drehe und drehe umschmeicheln Düfte meine Nase, denn gelb und rot und blau und grün mischen sich zu immer neuen Möglichkeiten; bis mir die Schale meinen Duft offenbart: Die Blüte meines Geistes, die Blüte meines Herzens, die Blüte meines Körpers.
Dann habe ich meinen Tanz gefunden, wie ein Duft der voller Kraft im Raum fließt, sich verdichtet in der Bewegung und noch über die leere Bühne schwebt habe ich den Platz verlassen.
Notiz: Tänze und Bewegungen des Orientalischen Tanzes

von Cornelia Bergler
Das was wir üblicherweise aus dem Urlaub in orientalischen Ländern kennen ist der "Raks Sharqi". Es gibt jedoch viele verschiedene Richtungen des Orientalischen Tanzes. Z.B.: traditionelle, ägyptische Volkstänze wie den Baladi, Saaidi oder Beduienentanz. Fantasietänze mit Schleier oder Isiswings. Stilmischungen wie beim Flamenco-Oriental. Neue Richtungen wie Tribal oder Fusion.
Darüber hinaus Tänze aus anderen orientalischen Ländern, u.a. der Tsifteteli (griechisch/türkischer orientalischer Tanz) oder der Karsilama (Türkei).
Die Grundbewegungen des Orientalischen Tanzes bleiben jedoch in allen Tanzrichtungen im wesentlichen gleich. Auch gleich ist, dass jede der Bewegungen isoliert getanzt wird. Egal ob sich die Hüfte, oder der Oberkörper bewegen. Erstaunlicherweise gibt es nur vier Basisbewegungen im Orientalischen Tanz, die im Becken sowohl im Oberkörper ausgeführt werden können:
- Schieben: das Becken bzw. den Brustkorb horizontal nach rechts und links, oder vor und zurück schieben
- Wippe: das Becken bzw. den Brustkorb abwechselnd nach rechts und links kippen
- Kippe: das Becken bzw. den Brustkorb vor und zurück kippen
- Twist: das Becken bzw. den Brustkorb vor und rück rotieren
Darauf bauen alle anderen Bewegungen auf!! Davon gibt es allerdings unendlich viele Möglichkeiten, insbesondere in Kombination mit Raumbewegungen, Hoch-Tiefbewegungen, Schritten und Drehungen. Eine kleine Auswahl z. B.:
- Hüftdrop: Einseitige Wippe , dass heißt dann Hüftkick auf einer Seite mit Akzent nach unten
- Hüftlift: Einseitige Wippe , dass heißt dann Hüftkick auf einer Seite mit Akzent nach oben
- Beckenkreis: Die Hüfte beschreibt einen horizontalen Kreis = fließende Kombination aller Schieberichtungen.
- Hula (innerer Beckenkreis): Die Hüfte beschreibt einen inneren Kreis durch fließende Kombination von Wippe und Kippe.
- Beckenwelle: Fließende Kombination von Kippe und vor und zurück schieben des Beckens.
- Kamel: Beckenwelle im vorwärts Laufen, oder Hüftacht von unten nach oben im seitlich Laufen.
"Little Egypt" eine Erfindung der Weltausstellung - The Chicago World´s Fair 1893

von Cornelia Bergler
Little Egypt eine Erfindung der Weltausstellung - The Chicago World´s Fair 1893
400 Jahre nach der Entdeckung durch Christoph Columbus feierte Amerika die Überwindung seiner Pionierzeit und „Unkultiviertheit“. Hier fuhr niemand mehr mit dem Planwagen durch die Wildnis und mühte sich bei der Erschließung von Agrarland; hier mussten Militär und Trapper die Siedler aus Europa nicht mehr von den Ureinwohnern Amerikas "befreien", das war 1893 erledigt.
Die Weltausstellung in Chicago 1893 – „The Chicago World´s Fair“ oder „The World´s Columbian Exposition“ – demonstrierte nun den Aufstieg in den „Olymp“ der Zivilisation, und die „Neue Welt“ war stolz und „weiß“.
Rund 30 Millionen Menschen besuchten von Mai bis Oktober 1893 das Ausstellungsgelände, die „Weiße Stadt“ in der Lagunenparklandschaft am Michigan See. Rund 28 Millionen US Dollar (heute rund 1 Milliarde) verschlangen die üppig dekorierten Hallen aus Stahl und Gips mit grandiosen Ausmaßen; 70.000 Aussteller aus der ganzen Welt sollten die Idee befördern, dass die Weltausstellung eine große amerikanische Volks-Universität ist, ein Ort der geistigen Bereicherung.
In der „Cosmopolitan“ ein literarisches Journal der Jahrhundertwende schrieb Walter Besant am 05. September 1893, sinngemäß: Die Weltausstellung ist in ihrer Kürze und enormen Volumen eine Enzyklopädie der Erde, die modernste und vollständigste und die bei weitem am besten erklärte.
Das Viktorianische Amerika kürte jedoch nicht nur den „technischen Fortschritt“ zum höchsten gesellschaftlichen Ziel, sondern übertraf das "Alte" Europa in Sachen Prüderie um Längen. Der Anblick eines weiblichen Fußknöchels, oder offen getragenes Haar löste Empörung aus; ohne Korsett hatte eine ordentliche, bürgerliche Frau nicht auf die Straße zu gehen.
Die Worte „Arme“ und „Beine“ waren verpönt! Man sprach, wenn überhaupt, von „Gliedern“. Selbst vor dem Anblick von Tisch- und Stuhlbeinen suchte man sich zu schützen und bedeckte sie mit pompösen Rüschendeckchen … diese „unanständigen“ Möbelteile hätten womöglich den Amerikaner, schlimmer noch die Amerikanerin, an verschlungene menschliche Beine beim Koitus denken lassen …
Um so mehr waren dieser „sexuell neurotischen“ Gesellschaft anspruchslose Vergnügungen und pures, bisweilen vulgäres Amüsement bekannt. "Vaudevilles", eine Art Varieté und "Burlesquen" in denen Frauen sich häufig ihrer Kleidung entledigten sowie große Wild-West-Shows nach dem Vorbild Buffalo Bill´s gab es in ganz Amerika, obgleich dies von der „besseren“ Gesellschaft auf das heftigste verurteilt wurde.
So machte die Weltausstellung in Chicago zwei Extreme sichtbar.
Einerseits großartige technische und architektonische Errungenschaften, wie beispielsweise ein elektrisch beleuchtetes Alpenpanorama, Thomas Alva Edison´s Phonographen mit dem man ganze Opern abspielen konnte, und das Kinematoscop aus dem später Film und Fernsehen hervorgingen. Die Firma Bell bot erstmals Langstreckentelefonate nach Boston und New York an.
Andererseits erfand Amerika die 'Midway Plaisance'. Eine etwa 1,5 km lange Amüsiermeile, die noch heute Vorbild für Rummelplätze von Coney Island in New York bis Disney World in Orlando, Florida ist. Hier konnte sich das Weltausstellungspublikum von seiner „bildungsschweren Volks-Universität“ , und Besichtigungstouren durch die „Weiße Stadt“ erholen. Man fand exotischen Nervenkitzel und Zerstreuung in Restaurants und Bierhallen, bei ethnologischen Live-Shows und im Zirkus mit den „Houdini Brothers“. Das Riesenrad mit einer Größe von 80m Höhe und einem Umfang von 240m war ein Magnet. Bis heute das weltweit größte, mit Wechselstrom betriebenen, Riesenrad,entworfen von George Washington Gale Ferris Jr. (USA, 1859-1896).
In der 59zigsten Straße, der „Cairo Street“ gab es zwischen Minaretten und Bazaren, Schlangenbeschwörer, exotische Speisen und Kamel- und Eselritten das „Algerische Theater“ mit seinen Tänzerinnen, die den „danse du ventre“ präsentierten.
Die „Midway Plaisance“ rief Anthony Comstock (1844-1915), Sekretär der New Yorker „Gesellschaft zur Unterdrückung des Lasters“ auf den Plan. Sein Einfluss auf das puritanische Amerika war enorm. Unter dem Grundsatz „Moral, nicht Kunst oder Wissenschaft!" kämpfte er fanatisch gegen die Verbreitung sexueller Informationen und versuchte die öffentliche Diskussion über Sexualität für immer zu beenden.
1873 erließ der amerikanische Kongress ein Gesetz, dass jeden Postversand von „obszöner, unzüchtiger oder wollüstiger Literatur in Form von Büchern, Flugblättern, Bildern, Schriften, Blättern oder anderen Publikationen unanständiger Art'" verbot. Der „Comstock-Act“ machte Anthony Comstock zum Zensor der Postverwaltung. In Folge öffnete er jeden Brief, jedes Paket und durchsuchte es nach „verdächtigen“ Hinweisen. Comstock soll unter anderem 15 Tonnen Bücher, knapp 150 Tonnen Bleidruckvorlagen und über 4.000.000 Bilder vernichtet haben. Comstock behauptete von sich selbst, 4000 Verhaftungen und 15 Selbstmorde verursacht zu haben. Darauf war er offenbar stolz.
Und nun tat Comstock alles in seiner Macht stehende um diese „abscheuliche Obszönität“ die Midway Plaisance“ und insbesondere die tanzenden Frauen zu bekämpfen. Diesmal allerdings scheiterte er kläglich mit seinen moralischen Bevormundenden. Stattdessen löste er eine amerikaweite Midway-Manie aus.
Vor mehr als 4 Millionen US Dollar (heute 1,5 Milliarden) Reinerlös, die die Midway einbrachte, kapitulierte die viktorianische Moral auch von offizieller Seite. Zwar mühten sich die Veranstalter den Erfolg der Midway herunterzuspielen, aber das Weltausstellungspublikum ließ das kalt. Wann immer sie auch von der verordneten Volks-Universität müde wurden, bummelten die Besucher über die „Midway Plaisance“, u.a. zum Ägyptischen Tempel. Hier konnte man den größten ägyptischen Fakir aller Zeiten sehen ... und das Publikum war stolz darauf, dass es sich dabei um einen Amerikaner handelte.
Seit der „Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations“ in London 1851 nehmen Weltausstellungen für sich in Anspruch, die gesamte Welt komprimiert abzubilden. Hier sollen globale, öffentliche Räume, die Kommunikation gesellschaftlicher Gruppen und Staaten vorantreiben. Die Menschheit diskutiert gemeinsame Entwicklungsfragen im Rahmen eines internationalen Kulturtransfers. So weit so gut; wer allerdings zu diesen Diskutanten gehörte wurde 1893 noch aus einem ganz anderen Blickwinkel gesehen als das heute der Fall ist.
So diente die Midway Plaisance nicht nur der puren Zerstreuung. Sie sollte außerdem die amerikanische Unterschicht in die „White City“ locken und darüber hinaus koloniale Eroberungen demonstrieren: Menschen aus Asien, Afrika, Europa wie auch die indigenen Völker Amerikas wurden hier als „kuriose Exponate“ vorgeführt.
Vor 1900 benutzten Anthropologen das Wort „Kultur“ selten in der Mehrzahl. Es gab nur „eine“ Kultur die gleichbedeutend mit Zivilisation war, und die war selbstverständlich amerikanisch und „Weiß“. Man demonstrierte diese Selbstverständlichkeit – heute könnte man sagen: zur Schau gestellter Rassismus – durch die Anordnung der einzelnen Völkerschauen als Evolutionsprozess: die unterste Stufe waren die Dahomeyan (ein Volksstamm aus Westafrika) und die Ureinwohner Amerikas, gefolgt von Asiaten, Türken, Arabern, Iren, Schotten, Polen Juden, Deutschen, Italienern, u.s.w.. Ihre Haut mag weißer sein als die der meisten Afrikaner, aber sie waren eben nicht rein weiß, so wie das „weißeste“ Volk der Weißen: die Anglosachen.
Mit dieser Aufgabe war zunächst die ethnologische Abteilung der Harvard Universität betraut. Allerdings kam man nicht recht vorwärts. Mag die Organisation der Völkerschauen noch eine „wissenschaftliche“ Aufgabe gewesen sein, so scheiterte die Universität jedoch an der Organisation des Unterhaltungsbetriebes. Dazu bedurfte es eines gewieften Geschäftsmannes.
So kann man zu Recht sagen, dass der der Erfolg der Midway Plaisance vor allem Solomon Bloom zu verdanken ist. Bloom wurde 1870 in Illinois, als jüngster von 6 Geschwistern, geboren. Im Alter von 3 Jahren kam er nach San Francisco. Seine Eltern waren so arm, dass er die öffentliche Schule nicht besuchen konnte. Mit 7 Jahren arbeitet er 6 Tage die Woche in einer Bürstenfabrik und half daneben seinem Vater beim Haustürgeschäft mit Kurzwaren. Später bekam er einen Job beim Theater. Schnell erkannte man seine ungewöhnlich gute Erinnerungsgabe, sein Talent für Werbung und die Organisation des Theaterbetriebs. Mit 15 Jahren war Solomon Bloom Manager der Abendkasse des „Alcazar Theater“ von Mike de Young, Mitglied einer prominenten, sozial engagierten Familie und Herausgeber des „Chronicle“.
1889 besuchte Bloom die Weltausstellung in Paris. Der Auftritt der rund 50 algerischen und tunesischen Tänzer und Tänzerinnen im “Algerischen Dorf” begeisterte ihn so sehr, dass er für 1.000 US-Dollar die zweijährigen Vermarktungsrechte an der Show in Nordamerika erwarb. Er war Geschäftsmann genug um zu wissen, dass der „danse du ventre“ in seiner Heimat ein Riesenerfolg werden würde.
Bereits bei der Rückreise nach New York City erfuhr Bloom, dass Chicago die Rechte an der Ausrichtung der Weltausstellung 1893 erworben hatte. Doch erst 1892 bekam er seine Chance. Bloom stellte fest, dass zwar der Bau der „White City“ gut voran ging, aber die “Midway Plaisance” noch immer in Planung war. Er beklagte sich bei Mike de Young, dass die Beauftragung der Haward Universität mit dem Aufbau der Midway so intelligent sei, als würde man „Albert Einstein zum Manager des Barnum und Bailey Zirkus“ machen.
De Young war eines der 108 Mitglieder der Nationalen Weltausstellungskommission, das verantwortlich für Grundsatzentscheidungen war und die Aufsicht über das Organisationskomitee führte. Er musste nicht erst intervenieren. Andere Mitglieder der Kommission waren ebenso besorgt. Die Vorbereitungen verschlangen enorme Summen und wenn die Ausstellung nicht pünktlich eröffnet werden konnte, noch dazu, weil „nur“ die eineinhalb Kilometer Midway nicht fertig war, stand nicht nur das Ansehen Chicagos auf dem Spiel.
Ende des 19. Jahrhunderts befand sich die USA in einer katastrophalen, wirtschaftlichen Situation. Bereits seit Jahren herrschte eine andauernde Depression: Millionen von Amerikanern waren arbeitslos, Zugverbindungen brachen zusammen und Banken kämpften gegen den Ruin. Eine verspätet eröffnete Weltausstellung wäre eine weitere wirtschaftliche Bankrotterklärung gewesen. De Young wurde beauftragt einen Manager zu benennen um die Midway voran zu bringen. “Du bist gewählt” erklärte er Solomon Bloom lapidar.
Mit 21 Jahren kam Solomon Bloom nach Chicago und übernahm sofort das Zepter. Er organisierte die Amüsiermeile so hervorragend, dass die Weltausstellung mit einem finanziellen Plus ihre Pforten schließen konnte. Er selbst soll angeblich in dieser Zeit mehr verdient haben als der amerikanische Präsident. Bloom engagierte Künstlerinnen und Künstler weltweit und holte die Tänzer und Tänzerinnen der Pariser Weltausstellung tatsächlich nach Chicago.
Ungeachtet der Tatsache dass sein Vertrag bereits abgelaufen war holte er das Ensemble 1892 persönlich im Hafen von New York City ab. Bis zur Eröffnung engagierte er den Ensembleleiter als Dolmetscher, Assistent und Bodyguard. Die Tänzer brachte er bei den Bauarbeiten unter und zwei englischsprechende Tänzerinnen in seinem Büro.
Sol Bloom war aber auch Impresario. Aufrichtig begeistert von diesem algerisch - tunesischen Ensemble schwärmte er für den „danse du ventre“ als ein perfekt choreographiertes Meisterstück an Rhythmus, Sinnlichkeit und Schönheit. Er baute für „seine“ Künstlern und Künstlerinnen den exklusivsten Veranstaltungsort der Midway: das 1.000 Sitzplätze fassende „Algerische Theater“.
Die von Kopf bis Fuß bekleideten Tänzerinnen, trugen ihr Haar offen und vollführten wellenartige Bewegungen und Drehungen. Ihre Muskeln spannten sich wie nie zuvor gesehen. Im prüden viktorianischen Amerika löste diese Art zu tanzen Hysterie aus. Die Fantasie der Menschen brannte mit ihnen durch. Schlagzeilen im ganzen Land berichteten über die Darbietungen im „Algerischen Theater“.
„Wenn sie tanzt“ so verkündete man „wackelt jede Faser ihres Körpers wie der Wackelpudding deiner Großmutter zu Thanks Giving. Sie ist so heiß wie ein glühender Ofen am 14. July.“
Gerüchten folgend, musste Sol Bloom seine Werbeplakate wegen unmoralischer Bilder an Orten entfernen an denen Frauen und Kinder sie sehen konnten. Angeblich war auch nach kurzer Zeit der Eintritt für Frauen und Kinder verboten. Dennoch die Zuschauer stürmten in Scharen in die Tanzshows. Bald schon wurde aus der amerikanischen Übersetzung für „danse du ventre“ - Bauchtanz – “belly dance”. In Anlehnung einer der frühesten und berüchtigtsten Unterhaltungshallen in San Francisco: die „Bella Union“. Das Etablissement stammte noch aus den Zeiten des Goldrausches um 1840 und wurde beim Erdbeben 1906 zerstört.
Solomon Bloom hatte neben bekannten amerikanischen Stars der Unterhaltungsbranche auch viele Künstler/innen aus Ägypten, Syrien, Türkei und dem damaligen Palestina engagiert: unter ihnen allen gab es keine „Little Egypt“.
Woher der Name stammt ist unklar. Manche Quellen geben an, dass es sich dabei um den Spitznamen des „Algerischen Theaters“ handelte, andere sprechen davon, dass die syrische Tänzerin Farida Mazar Spyropoulos von ihren Kolleginnen hinter der Bühne so benannt wurde, da Farida sehr klein und zierlich war. Farida tanzte tatsächlich im Algerischen Theater während der Weltausstellung. Die 1871 in Syrien geborene Künstlerin trat unter dem Künstlernamen Fatima auf. Ihren letzten Auftritt unter dem Synonym „Little Egypt“ hatte sie 1933 wieder in Chicago während der „Century of Progress“ im Alter von 62 Jahren. Ein Foto von ihr ist nicht sicher belegt.
Dafür aber eines von Ashea Wabe. Sie war an sich eine völlig unbedeutende Tänzerin, tingelt durch die verschiedensten Varietés und wurde plötzlich 1896 Haupthema der amerikanischen Titelseiten. Wabe tanzte auf einer der mondänen und verschwenderischen „Fifth Avenue Junggesellenparties“. Es hieß, sie sei nackt aufgetreten und die Party sei durch eine Razzia der New Yorker Sittenpolizei aufgelöst worden. Diese Razzia brachte Ashea einigen Ruhm. Sie wurde von Oscar Hammerstein an den Broadway engagiert um sich selbst als „Little Egypt“ in einer humorvollen Parodie dieser Party zu spielen. Ashea Wabe geriet schnell wieder in Vergessenheit, aber ihr Foto in der Pose „Little Egypt“ ist bis heute weltbekannt. Es wurde von Benjamin Falk nach 1896 in New York aufgenommen.
Solomon Bloom behielt Recht, der „danse du ventre“ trug zum wirtschaftlichen Erfolg der Weltausstellung bei. Er war eine landesweite Sensation, denn von den rund 65 Millionen Amerikanern sah schätzungsweise jeder vierte die Aufführungen; Und ein Skandal im prüden Amerika, der aber die Karriere des „belly dance“ in Amerika und die Tanzgeschichte im Allgemeinen wesentlich beeinflusste, und große Tänzerinnen wie Loie Fuller, Ruth St. Denis oder Maud Allan inspirierte.
Quellen
Stanley Appelbaum. The Chicago World´s Fiar of 1893, A photographic Record. Dover Publications Inc., New York, 1980
http://www.chicagohs.org/history/expo.html (Die Weltausstellung)
http://www.expo2000.de (Die Geschichte der Weltausstellungen)
www.bpb.de (Bundeszentrale für politische Bildung. Wolfram Kaiser. Die Welt im Dorf - Weltausstellungen von London 1851 bis Hannover 2000)
http://www2.hu-berlin.de/sexology/ATLAS_DE/html/sexuelle_aufklaerung_und_erzie.html
www.visibledarkness.com/ depression/timeline.html
http://memory.loc.gov/ammem/today/mar21.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Anthony_Comstock
www.sgipt.org/politpsy/usa/cia.htm (Karte der USA)
http://www.gildedserpent.com/art40/CharmaineSolBloom.htm
www.geschichteinchronologie.ch/soz/buch-hoell...
http://www.jungle-world.com/seiten/2006/51/9083.php
http://www.shira.net/streets-of-cairo.htm (Little Egypt und der Hootchy – Kootchy)
https://de.wikipedia.org/wiki/World%E2%80%99s_Columbian_Exposition
http://en.wikipedia.org/wiki/Little_Egypt_(dancer)
https://www.in2013dollars.com/us/inflation/1893
$100 in 1893 is equivalent in purchasing power to about $3,571.83 today